Echo rocks, and Echo rolls, and Echo got a whole lotta soul

Als ich 1996 in Hamburg zum ersten Mal eine Echo Verleihung besuchte, ist mir am lebhaftesten der Moment in Erinnerung als Stoner Thommie und seine Big Mean Germans eine Standing Ovation für eine der schlechtesten Vollplayback-Darbietungen aller Zeiten initierten. Die Wahrnehmung getrübt durch die diversen Drink-Warm-Ups im Vorfeld der Verleihung, die zu der Zeit noch regelmäßig dazu führte, dass die Plattenfirmentypen fast mit Gewalt zur feierlichen Verleihung in den Saal gestiefelt werden mußten, da sie befürchteten, dass die Getränke nach der Zeremonie nicht mehr für lau zu bekommen sind, war dies definitiv einer der schlimmsten Momente in meiner musikalischen Laufbahn.

Letzendlich geht es beim Echo für die Branche aber nur am Rande um musikalische Inhalte. Jedes Jahr werden die erfolgreichsten Künstler ausgezeichnet, was bei dem "zweitwichtigsten Musikpreis der Welt" (im fünft größten Markt der Welt) regelmäßig dazu führt, dass die prämierten internationalen Topstars in erster Linie Grußworte per Video übermitteln, um unübersehbar vorzuführen, für wie wichtig sie diesen Preis halten und die deutschen Künstler brechen regelmäßig in Dankeshymnen an Label, Gott und den Weltfrieden aus, um zu demonstrieren, wie toll sie sich selbst finden.

Da ich nicht unbedingt der größte Fan der erfolgreichen Künstler bin, liegt wohl auch daran, dass ich mich seit Jahren in der innovationsfeindlichsten Branche in unserem Lande bewege, bei der die Maxime "lieber schlecht kopiert als eigenständig aufgebaut" in korresionsfreien Edelmetallen gebrannt über der Eingangstür jeder größeren Plattenfirma hängt und den Mitarbeitern wie ein Damoklesschwert den Weg des geringsten Widerstandes weist. Die Krise dieser Branche, die seit Jahren auf den Nebenkriegsschauplätzen "illegaler Download" und "Brenner" geführt wird, ist versinnbildlicht in der jährlich stattfindenden Echo Verleihung, bei der mit wenigen Ausnahmen immer die Kopien ausgezeichnet werden, die überschaubar talentiert von windigen Managern und ihren Erfüllungsgehilfen in den Plattenfirmen dem hilflosen Konsumenten von Formatradios und Videoabspielsendern ins Hirn geprügelt werden.

Aber sind wir doch mal ehrlich, in einem Land, in dem Popmusik nach über 50 Jahren immer noch nicht in Kultur und Feuilleton angekommen sind, was sollte man da auch schon von so einer Veranstaltung und der Branche im allgemeinen erwarten. Und deshalb ist es auch schon klar, wie es dieses Jahr ablaufen wird: Juli und Silbermond, die marktgerechteren Kopien von Wir sind Helden, bekommen alle nationalen Echos für ihre leidlichen musikalischen Darbietungen des letzten Jahres, außer den für Band des Jahres, der geht wie immer, wenn Pur eine neue Platte veröffentlicht haben, an Pur. Der Echo fürs Lebenswerk geht wahlweise an alle Ex-DSDSen, ehemalige oder gegenwärtige Kontainer-, Alm-, Burg oder Dschungelbewohner und abgehalfterten Serienstars für ihre Verdienste an der deutschen Musikbranche. Die einzige Überraschung könnte der -nicht während der Zeremonie verliehene- Marketing Echo werden. Den kriegt das Team von 105 Records und die Abteilung bei Sony für Vertriebslabels für die herausragende Leistung mit geringem finanziellem Einsatz ein Platinalbum von Annett Louisan zu Stemmen, dass alle, aber auch wirklich alle ausnahmslos überrascht hat.

Aber wahrscheinlich geht auch dieser Preis wieder an irgendeine Company, die Fantasillionen für Bauzaunplakatierung in Großstädten verballert hat, anstatt der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in einem Jahr, in dem erneut hunderte von  Mitarbeitern von den Majorplayern der Musikindustrie direkt zur Arbeitsagentur outgesourcet wurden, Kosteneffizienz der neue Rock'n'Roll ist und man lieber Arbeitsplätze abbaut und sinnlose Marketingspendings an die Wand klebt.

Und jetzt freue ich mich auf den Echo 2006, bei dem zum ersten Mal Jamba einen Preis für den geilsten, erfolgreichsten, abartigsten Klingelton bekommt, weil, ich bin jetzt mal ganz ehrlich, eigentlich ist ja der Klingelton der neue Rock'n'Roll. Oder kann sich sonst jemand an ähnlich überhitzte Generationendiskussionen über Musik erinnern seit dem ursprünglichen Entstehen des Rock'n'Roll? Eben!

P.S. Wer sich fragt, wer den zu Beginn erwähnten phänomenalen Playback-Auftritt hingelegt hat: Tina Turner wars.